Heute vor 30 Jahren begann in einer Gemeinde in Toronto, was unter der Bezeichnung „Torontosegen“ zu einem umstrittenen Phänomen in der christlichen Szene werden sollte. Für die einen war es ein Stück Himmel auf Erden, für die anderen ein Stück aus dem Tollhaus. (Wem der Begriff „Torontosegen“ nichts sagt: de.wikipedia.org/wiki/Torontosegen

Ich selbst hatte erst einige Jahre später Gelegenheit, für eine Woche dorthin zu reisen. Es war wild, es war verrückt, ich ließ mich darauf ein. Diese Woche hat mein Leben verändert. Am besten kann ich diese Veränderung mit einem Bild beschreiben. Ich fuhr damals gern auf charismatische Konferenzen. Das war meist so, als wenn ich mit einem Krug zu einer Quelle ging und ihn gefüllt mit nach Hause nahm: Ich wurde erfrischt, aber nach einiger Zeit war der Krug wieder leer. Toronto war anders. Von dort brachte ich keinen gefüllten Krug, sondern eine Quelle mit nach Hause, so wie Jesus es sagt: „Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle werden, deren Wasser ins ewige Leben fließt“ (Johannes 4,14). Zu Hause angekommen war zwar zunächst wieder Alltag. Aber dann begann die Quelle immer wieder neu und immer dauerhafter zu sprudeln, ihr Wasser dann aber auch ruhiger zu fließen. Sie hat nie wieder aufgehört. Es gab zwar noch bedrängte Zeiten, in denen sie schwächer wurde, aber sie brach danach wieder neu hervor. Auch heute sitze ich oft an der Quelle, die in mir ist, und trinke aus ihr. Alles, was ich seit damals gemacht habe – in der Gemeinde, in interkulturellen Beziehungen, als Netzwerker, Mentor, Berater und Stadtchrist – wurde getragen von dieser mystischen Grunderfahrung.

Toronto hat mich auf den Weg zur christlichen Mystik gebracht. Als ich in den letzten Jahren die christlichen Mystiker entdeckte, kamen sie mir in vielem verwandt, ihre Erfahrungen vertraut vor. Sie haben mir noch einmal ein anderes Verständnis, eine andere Sprache und neue Inspiration für das Erlebte gegeben.(1) Mich wundert auch nicht, dass es bei ihnen im Mittelalter ähnliche Aufbrüche wie den Torontosegen gab, bevor ihre mystischen Erfahrungen wieder in ruhigeres Fahrwasser gerieten. So berichtet Bertholt von Bamberg über Ereignisse im Nonnenkloster Wittichen: 

„wenn sy bij enandren waren und von gott rettend, do wurden sie als voll gnäd, das sy lacheten und gar frölich wurden von göttlicher minn, das sy recht tätten, als ob sy ir sinn verloren hetten, und sprungen und sungen; aine lachete, die ander wainete, die drit schray mit luter stimm, etlich schwigend, und wer sy hett gesehen, der hette gement, das sy truncken werid gesin, und was ouch wär, wann sy waren truncken des trancks, als die zwölf botten an dem pfingsttag truncken wurden, das was der hailig geist.“(2) 

(1) Teresa von Avila hat die Erfahrung der inneren Quelle schöner und besser beschrieben, als ich es könnte.

(2) Leben der seligen Liutgard, der Stifterin von Wittichen, von dem Pfarrer Bertholt von Bombach. In: F. J. Mone (Hg.): Quellensammlung der badischen Landesgeschichte. Dritter Band. 1863 C. Macklos Verlag, S. 453

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