Man sagt, dass Genie und Wahnsinn eng beieinander liegen. Man könnte ebenso sagen, dass leidenschaftliche Liebe zu Gott und religiöser Enthusiasmus eng beieinander liegen. In wem das Feuer des Geistes brennt, der kann schon mal den Siedepunkt erreichen. Das war bereits in biblischer Zeit so. Sogar der große Apostel Paulus war sich bewusst, dass er nicht immer einen gesetzten und gesitteten Eindruck machte, und schrieb seinen Korinthern: „Wenn wir verrückt waren, war es für Gott“ (2. Korinther 5,13). Später setzte sich das fort. Gestalten wie Symeon, der syrische Säulenheilige, Franz von Assisi oder George Fox, der Begründer der Quäker, gehören zu den absoluten Freaks der Kirchengeschichte. Und doch haben diese Leute mehr Gutes bewirkt als mancher wohltemperierte Nachfolger Christi. Was wäre der Glaube an Gott ohne seine Exzentriker?!

Leider gilt nun nicht der Umkehrschluss. Nicht in jedem Wahnsinnigen schlummert ein Genie. Nicht in jedem religiösen Enthusiasten steckt ein großer Liebhaber Gottes. Mancher ist einfach nur abgedreht. Das konnten sogar die christlichen Mystiker unterscheiden, in deren Reihen man haufenweise Freaks findet, und dann konnten sie recht derb werden wie Johannes vom Kreuz (1542-1591): 

„Wenn da eine Seele, deren Betrachten kaum vier Pfennig wert ist, bei der geringsten Sammlung schon Ansprachen [gemeint sind Mitteilungen Gottes] zu verspüren meint, nennt man das alles gleich göttlichen Ursprungs, und, da man davon ganz überzeugt ist, heißt es dann: Gott hat mir dies und das gesagt, Gott hat mir dies geantwortet usw. Und doch ist dem durchaus nicht so, sondern meistens sind solche es selber, die so mit sich redeten … So geraten dann solche Leute in große Torheiten, wenn sie nicht streng in Zaum gehalten werden, und wenn ihr Seelenführer [geistlicher Begleiter] ihnen nicht ausdrücklich solches Gerede verbietet.“[1] 

Ähnlich deutlich wird der enthusiastische Apostel Pauus, der seinen enthusiastischen Korinthern schreibt: „Hört doch endlich einmal auf zu spinnen!“ (1. Korinther 15,34). Doch zugleich warnt er davor, nicht so vernünftig zu werden, dass wir Wasser auf die Glut des Geistes gießen (1. Thessalonischer 5,19). 

Christliches Leben bewegt sich im Spannungsfeld zwischen überhitzt und unterkühlt. Zu einer gesunden Spiritualität kann uns nur Gott selbst verhelfen. Wenn wir ihm begegnen, wird der Überspannte ernüchtert und der Nüchterne beschwingt. 

[1] Johannes vom Kreuz: Aufstieg zum Berge Karmel. In: Sämtliche Werke in fünf Bänden, Band 1. 1952 Kösel Verlag, S. 249

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