Wie kürzlich angekündigt, plane ich eine Podcast-Reihe über den Römerbrief. Vorab werde ich einige Vorüberlegungen veröffentlichen, die darüber Auskunft geben, mit welch einer Sicht und Haltung ich dieses Vorhaben angehe. Damit hoffe ich gleichzeitig, anderen Anregungen für ihren Umgang mit der Bibel zu geben. Ich beginne mit einer Folge, in der ich mich mit einem Phänomen beschäftige, das von Anfang an die Bibel begleitet hat.

(1) Auf der einen Seite wurden und werden der Römerbrief und darüber hinaus die ganze Bibel sehr unterschiedlich verstanden. Seit 2000 Jahren gibt es Christen, die ihre eigene Auslegung für die richtige halten, denen aber von anderen Christen zum Teil heftig widersprochen wird. Manchmal sind es einzelne Theologen, manchmal ganze Denominationen, die über die angemessene Deutung streiten. Manchmal debattieren sie über die Erklärung einzelner Passagen, manchmal darüber, wie ganze biblische Bücher zu verstehen sind. Und immer wieder gab und gibt es Neuerungen. (Was Luther im Römerbrief sah, hatte in den 1500 Jahren vor ihm kaum jemand in gleicher Weise gesehen, aber bis heute lesen viele evangelische Christen diesen Brief so selbstverständlich nur mit Luthers Augen, als ob es keine anderen Augen gäbe.) Die Geschichte des Verstehens der Bibel war und ist oft eine verwirrende Geschichte.

(2) Auf der anderen Seite haben in den vergangenen 2000 Jahren Menschen trotz ihrer unterschiedlichen und einander widersprechenden Deutungen erlebt, dass die Bibel sie zum Glauben an Jesus gebracht, ihnen Heil vermittelt und ihr Leben verändert hat. In den Erweckungsbewegungen des 18. Jahrhunderts waren John Wesley und George Whitefield die beiden wichtigsten Prediger (mit Ausnahme vielleicht von Jonathan Edwards). Beide gerieten in heftigen Streit. Bestimmte Aussagen, die man im Römerbrief, aber auch sonst findet, verstand Whitefield so, dass die Vorherbestimmung und Erwählung durch Gott entscheidet, wer gerettet wird. Wesley hingegen vertrat die Auffassung, dass es am freien Willen des Menschen liegt. Doch unter der Verkündigung beider machten Menschen ganz ähnliche tiefgehende Bekehrungserfahrungen, die zu einer ähnlich intensiven Jesus-Beziehung führten. Entgegengesetzte Erklärung – gleiche Wirkung. Der Gott der Bibel wohnt oft beiderseits der exegetischen Schützengräben. Bis heute verhindern Missverständnisse und Irrtümer nicht, dass Menschen in der Bibel ihm begegnen.

Was hat es mit der Bibel auf sich, dass sie seit 2000 Jahren die Menschen beständig auf der Suche nach der richtigen Auslegung hält, ohne dass diese Suche jemals endgültig abgeschlossen wäre? Dass sie aber gleichzeitig beständig Menschen Heil und Leben vermittelt, selbst wenn diese vieles falsch deuten? Ich habe dazu ein Modell entwickelt, das ich in der neuen Folge von Hasophonie vorstelle: „Wie man sich in der Bibel zurechtfindet und Entdeckungen macht“. 

Zitierte Literatur:

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